Mit Geschwindigkeit zum Slow Food

Mit Geschwindigkeit zum Slow Food

Stephan und ich, machen eine Reise in der Reise. Dafür verlassen wir nach 19 Tagen laufen Wälder, Täler, Felder und kleine Dörfchen und begeben uns in einen Zug. Es ist eine Regionalbahn.

Während das vorbeiziehen eines Baumes zuvor mit zuweilen viel Schnaufen den Berg hinauf verbunden war, erscheinen jetzt die Wälder und kaum ist ein einzelner Baum mit einem Blick erhascht, verschwimmt er schon wieder vor den Augen.

Stephan ist ganz schwindelig – und ich erinnere mich an die Erzählung der ersten Filme, als das Publikum im Kino bei der Einfahrt eines Zuges auf der Leinwand noch massenhaft den Raum verlassen hat und über die Gesundheit der beschleunigten Verkehrsmittel gefachsimpelt wurde.

Wir sitzen in einem Café mit veganen biologischen nachhaltigen Leckereien. 

Die Preise sind dementsprechend höher und Stephan sitzt mir gegenüber – und genießt sein Essen etwas langsamer als sonst. Ich merke wie gerne ich ihm zusehe, wenn er sich Zeit nimmt. Und für das zweite Stück Brownie schlage ich eine Slow Food Challenge vor.

3 Tage Slow-Food-Challenge
• Sich bewusst Zeit nehmen  zum Essen 
• Langsam essen 
• Gründlich Kauen- wenn das nicht genügt, dann als Anhaltspunkt mindestens 30-40 Mal pro Bissen 
• fühlen, was spürbar wird
• täglich: Reflexion der gemachten Erfahrung

Wir sitzen draußen und schmecken. Da ist erst ein fließen im Mund zu spüren, wie schmelzende Schokolade, dann kommt etwas festere Masse. Ein Stück Dattel. Wie weich das Innere ist und doch etwas knackt beim hineinbeißen, das Stück zwischen den Vorderzähnen hin und her bewegend, die Haut fester und mit einem Geräusch und Kaugefühl das sich frisch knackig anfühlt. Etwa wie beim hineinbeißen in einen Apfel, nur leiser und abgeschwächter. Dann ein Stück Nuss, das interessante Formen hat, der leicht herbe Geschmack eines Kakaosplitters.

Hinter Stephan genau in meinem Blickfeld nimmt ein Mann Platz, er hat sich, warum auch immer, eine Essensbox zum Mitnehmen gefüllt, bleibt aber im Restaurant sitzen – ich bemerke Staunen in mir, wie er eine riesen Gabel füllt und sich in den Mund schiebt, noch nicht angekaut schiebt er sich eine nächste Gabel Salat, aus einem Gemisch grüner und roter Paprika hinterher. Ich frage mich, wie die unterschiedlichen Farben wohl schmecken? Schon landet der nächste Happen in seinem Mund. Wir haben immer noch einen halben Brownie vor uns liegen, als der Kandidat schon aufspringt und die Verpackung in den Laden zurück bringt.

Ein Kellner sortiert Pfeffer und Salz auf den Tischen mit bedacht und es werden Kerzen verteilt.

Reden und Essen gestaltet sich schwieriger, wie Stephan bemerkt,  er beginnt schneller zu kauen, als er mir etwas erzählen will. 

Die Gojibeere überlasse ich ihm, der sich über die fruchtige süße und das herausschmecken der kleinen Körnchen freut.

Bei mir hat sich ein Gefühl von Sättigung eingestellt, wo ich zuvor noch am liebsten alle Leckereien durchprobiert hätte, fühle ich mich nun einfach zufrieden.

3 Tage soll dieses Experiment nun gehen. Wir sind bei anderen Leuten eingeladen. Wie wird das, dort das eigene Tempo bei zu behalten? Es ist ja eine Sache sich auf so ein Experiment zu zweit einzulassen – und eine ganz andere wenn andere Menschen drum herum sind und wir vielleicht doppelt und dreifach so lange brauchen.

Stephan hat am Abend schon großen Hunger und bemerkt Bedenken in sich, wie es wohl wird, sich grade dann zu bremsen.

Ein Erlebnis. Linsensuppe mit Kartoffeln, Bohnen und Petersilie.

Beim einschlafen und kurzen reflektieren bemerken wir wie präsent das ist, was wir gegessen haben – im Vergleich zum Frühstück an diesem Tag, welches irgendwie noch konstruierbar, bei weitem aber nicht mehr so präsent ist.

Das langsame Essen wirkt sich auch auf das Reden und Gehen aus und auch die Menge, die wir „brauchen“. 

Die Verlangsamung verändert das Wesen der Zeit

Stephan denkt an das leckere Kartoffelgratin am Vorabend, dass er in dreifacher Menge mit großem Hungergefühl in sich rein geschaufelt hat.

Mein Blick wandert während er jetzt grade kaut mal wieder zu ihm herüber, langsam bewegt er gerade ein Stück des Essens zwischen seinen Zähnen. Es wirkt auf mich sehr bedächtig und demütig vor dem was ist, beobachtend nehme ich ein warmes Gefühl in meiner Brust wahr.

Beim Frühstücken sind wir dann schon zu viert (: