Radikal Ehrlich? Vom Versteckspiel in die Begegnung

Radikal Ehrlich? Vom Versteckspiel in die Begegnung

Im Laufe meiner Workshoptätigkeit  bin ich immer wieder verschiedenen Menschen begegnet, mit sehr verschiedenen Definitionen von Ehrlichkeit.

Ich möchte daher erstmal definieren, was Ehrlichkeit für mich bedeutet.

Und in einem weiteren Schritt warum mir Ehrlichkeit so wichtig ist.

Zunächst einmal was Ehrlichkeit für mich nicht ist: „Du bist blöd!“, „Du siehst blöd aus!“…. Diese Sätze mögen vielleicht ein Ausdruck sein, von etwas, was grade in einem Anteil von Deinem Gegenüber empfunden wird- es wird jedoch weder über das eigene Empfinden gesprochen, noch dafür Verantwortung übernommen.

Ehrlichkeit bedeutet für mich jedoch zu der unwiderlegbaren eigenen Wahrheit zu stehen. Unwiderlegbar ist Deine Körperempfindung.

Wenn ich sage „In mir ziehen sich die Muskeln in meinem Bauch zusammen, es fühlt sich an wie ein schwerer Stein“ oder „mein Herz fühlt sich weit und offen an und ich spüre wie ein strömen, dass so nach vorne fließt in deine Richtung, wo du sitzt“, dann ist das nicht widerlegbar! Es ist Deine Körperempfindung, eine Beschreibung, was in Dir grade vorgeht. 

Vielleicht hast Du die Erfahrung schon mal machen können, dass auf diese Weise im Kontakt weniger Ziehen entsteht, es ist eher ein Gefühl von Ruhe. Wenn Du Dich so mitteilst hat Dein Gegenüber die Möglichkeit wirklich etwas von Dir zu erfahren, Dich sehen zu können. Du bist greifbar und spürbar. Du bist bei Deiner unwiderlegbaren Wahrheit dieses Moments!

Im Gegensatz dazu hast Du vielleicht auch schon mal erlebt, das Sätze, die mit „Du bist…. Du hast….“ meist in Deinem Gegenüber oder Dir selbst Widerstand auslösen. Vielleicht weniger noch bei dem Satz „Du bist wundervoll“ als bei „Du bist scheisse…“ 

Im Grunde geht es aber um ein ähnliches Prinzip. Ein eigenes Erleben wird nicht ausgedrückt und übersprungen und in einer Du-Botschaft verpackt.

Du-Botschaft

Bist Du der oder die Aussprechende heißt das, Du selbst bleibst bei einer solchen Aussage im Kontakt versteckter. 

Bei „Du bist wundervoll“ kann ich mir als Gegenüber vielleicht noch vorstellen, dass ich vielleicht etwas gesagt, getan habe, was in Dir ein warmes Gefühl ausgelöst hat. Bei „negativeren“ Bewertungen mag es mir dann schon schwerer Fallen nicht mit einem Anteil in mir in Identifikation zu gehen z.B. wütend oder verletzt zu reagieren. Wenn ich gut bei mir bin, wahrnehme was in mir passiert und nicht sofort in ein Reaktionsmuster springe, mag es mir auch hier vielleicht gelingen mit zu teilen, was es grade mit mir macht oder gar mir vorzustellen, dass die andere Person, in dem Fall Du, sich vielleicht grade sehr über mich geärgert hat- und vielleicht schaffe ich sogar das in Kontakt zu bringen.

Wie Du an der Länge der Sätze merkst, bedeutet es für Dein Gegenüber, welches die Du-Botschaft empfängt, oder für Dich, wenn Du einen solchen Satz hörst, viel mehr Arbeit! 

Das liegt daran, dass bei einer Du-Botschaft, wenn Du sie äußerst, eine Aussage und Information über Dich eheranhbar, aber nicht greifbar ist und Dein Gegenüber Dich erst darin suchen muss. 

Es gibt mehr Spielraum für Spekulationen und damit auch Missverständnisse. 

Wenn sich Dein Gegenüber bewertet fühlt, wird die Bereitschaft im Kontakt zu bleiben voraussichtlich sinken und auch der Wille Dich zu verstehen, dass ist es aber oft genau, was wir uns wünschen und warum wir überhaupt etwas zur Sprache bringen.

Es kann dazu führen, dass an diesem Punkt verständlicherweise die Suche nach dem oder der anderen aufgegeben wird. 

Aufgabe der Suche nach dem/der Anderen

Dies mag bei einer Du-Botschaft bei einer Aussage wie „Du bist wundervoll!“ vielleicht noch nicht geschehen, und der Kontakt bleibt bestehen, spätestens bei „Du bist immer unpünktlich!“ „Du bist blöd!“ etc. , wird aber wahrscheinlich eher Ärger in Dir oder Deinem Gegenüber auf tauchen, Du fühlst Dich möglicherweise nicht gesehen und in eine Schublade gesteckt. Je mehr die Aussage in ein „Du bist…“ schlimmstenfalls noch gepaart mit „immer“ geht, desto mehr tritt dieses Phänomen auf.

Das ist ganz verständlich, denn es ist eine generalisierte Aussage, die Dich in Deinem vielfältig sein, nie ganz beschreiben können wird- und daher sogar sehr wahrscheinlich Widerstand auslöst. 

Bei „ Du bist wundervoll“ können sich vielleicht Gedanken melden, von Momenten, wo Du Dich selbst noch nicht so annehmen kannst, vielleicht siehst Du Dich aber auch in Deinem Sein, oder Deiner Grundausrichtung gesehen. 

Bei „Du bist blöd!“, kannst Du vielleicht noch interpretieren, dass etwas, was Du GETAN hast diese Reaktion ausgelöst hat, Du wirst aber (hoffentlich) einen Widerstand spüren, denn es ist dann immer noch eine Handlung und nicht Du als ganzer Mensch, die diese Reaktion ausgelöst hat, welche als „blöd“, im Sinne von „will ich nicht haben“, oder „ich will mich nicht so fühlen!“ nach außen geworfen wird.

Das „blöd“ stellt dabei zudem schon eine Schublade für ein Gefühl dar, aber nicht die Empfindung selbst, dass heißt es ist immer noch ein Versteck.

Bei einer solchen Aussage spreche ich auch von einer „maskierten Brutalität“. Denn die Verantwortung für einen eigenen aggressiven Impuls wird nicht übernommen, meist mit einer Verlagerung von „Schuld“.

Es ist mag im ersten Moment leichter erscheinen zu sagen „wegen Dir fühle ich mich so oder so und wenn Du Dich nur ändern würdest…. hätte ich kein Problem“. Letztendlich schwächst Du allerdings auch Dich selbst damit, weil Du suggerierst handlungsunfähig zu sein und der anderen Person diese Macht über Dich gibst! 

Für Versteckspiele gibt es viele Gründe, einer mag sein die eigene Empfindsamkeit und Verletzlichkeit schützen zu wollen!

Aber zurück zu den Schubladen.

Wenn Du fünf Menschen fragst, wie sie „Schön“ erleben, wirst Du wahrscheinlich 5 verschiedene Antworten bekommen, während „schön“ einfach ein Wort bleibt, dass viel Spielraum lässt.

Sprache vereinfacht oft, Schubladen auch, sie haben eine Funktion eine Richtung und Tendenz auf zu zeigen, für eine wirkliche Begegnung braucht es aber die Vielfalt und oft damit auch verbunden ein Lernen einer neuen Sprache.

Ehrlichkeit
Was ist also Ehrlichkeit?

Ehrlichkeit ist für mich ein heraustreten aus dem doppelten Versteck.

In einem „Du bist…“ ist zwar eine Botschaft von Dir, sie ist aber 1. verpackt

Und 2. generalisiert.

Das „Du bist…“ durch ein „Ich finde Dich…“ zu ersetzen hat zwar ein Ich mehr, macht die Aussage allerdings auch nicht wesentlich besser, sondern verschleiert die Du -Botschaft einfach ein Stück mehr.

Ehrlichkeit ist für mich ein heraustreten aus diesen Verstecken und der Generalisierung.
Es ist:
1. sichtbar sein, mich sichtbar machen und
2. im Moment sein! 

Damit einher geht Verantwortung für das eigene Wahrnehmen und Fühlen zu übernehmen, denn das passiert, wenn Du Deine unwiderlegbare Wahrnehmung ausdrückst.

So kann ein Raum entstehen indem Begegnung möglich ist, der sich leicht anfühlt, weil es für keine/ n extra Anstrengung bedeutet, die beim entschlüsseln zwangsläufig erforderlich wird.

Vielleicht überfordert Dich der Gedanke und Du fragst Dich jetzt, aber wie soll das gehen!?

Es ist noch kein*e Meisterin vom Himmel gefallen. 

Die Entscheidung für eine Ausrichtung, Dich auf den Weg zu machen halte ich für das Wesentlichste.

Manchmal hilft auch ein Gegenüber, dass sich schon selbst gut wahrnehmen kann, manchmal dürfen wir durch den liebevollen emphatischen Spiegel anderer auch erst etwas über unsere eigenen destruktiven Muster erfahren, weil dieses Gegenüber nicht gleich in eine Gegenreaktion verfällt und auch bei einer Du-Botschaft sich vielleicht vor Augen führen kann, dass das gesagte im Grunde etwas über die/ den Sprecher*in aussagt. 

Temporäre Hilfe

Siehst Du Dich selbst in einer Situation für einen Moment auf der Seite des emphatischen Spiegels zu stehen, so sei Dir bitte bewusst, dass ein sich vorstellen was bei der anderen Person grade sein mag vorübergehend helfen mag, aber eben eine vorübergehende Lösung ist- und auch dies, wenn es Dir vielleicht häufiger so geht, ein Muster eines Versteckspiels sein kann.

Wenn Du vielleicht häufiger emphatisch bei der anderen Person bist, so kann es zum einen sein, dass Du der anderen Person den Schritt selbst in die Verantwortung zu gehen und zu lernen sich klarer auszudrücken nimmst.

Zum anderen kann es auch eine Versteckmöglichkeit sein, nicht über Dein erleben sprechen zu „müssen“. 

Wahrscheinlich liegt hier dann eine Lernchance für Dich. Du kannst Dich fragen, was Dein Motiv ist. Vielleicht entdeckst Du dann, dass es für Dich nicht leicht aushaltbar ist eine Spannung zu ertragen …. und schwups bist auch Du wieder in einem Forschungsfeld mit Dir selbst.

Radikal Ehrlich bedeutet also vor allem Dich Dir selbst und Deiner Wahrnehmung zu öffnen und im zweiten Schritt diese womöglich mit anderen zu teilen.
Vom Versteckspiel in die Begegnung.

Wichtig ist es mir dabei zu erwähnen, dass wir alle diese Versteckspiele nicht zum Spaß gelernt haben, sie waren in bestimmten Situationen Deines Lebens wahrscheinlich sehr wichtig. Es gilt jedoch zu überprüfen ob die eigenen Annahmen von früher heute noch gelten, oder auch ob nicht die eigenen Möglichkeiten mit den Jahren gewachsen sind, die Dir als Kind vielleicht noch nicht zur Verfügung standen. Zu überprüfen ist der Raum so wertschätzend, oder kann ich dazu beitragen, dass ein Raum so wertschätzend wird, dass ich mich mit mehr Ehrlichkeit heraus trauen kann, kann dabei ein Schritt sein.

Ist eine Unehrlichkeit im Raum, so kostet dies immer auch Kraft, die nicht in den Kontakt fließt und Dich von Deinem Schöpfer*in sein abhält. Es ist eine Kraft die ins Zurückhalten geht. Oft aus einer Angst heraus, wenn ich mich zeige mit dem was grade bei mir ist, könnte mich mein Gegenüber im Stich lassen.

Ich bewirke in dem Zurückhalten jedoch selbst eine Verhinderung von Kontakt, nach dem ich mich eigentlich sehne.

Unehrlichkeit hat häufig die Funktion eine Illusion von etwas zu schaffen, was nicht wirklich besteht, Dir aber etwas über Deine Sehnsucht erzählen kann.

Mit einer Lüge lebst Du also etwas, was nicht wirklich besteht, damit bekommst und produzierst Du etwas, was Du eigentlich gar nicht willst und stehst der eigenen Erfüllung im Grunde im Weg.

Denn ein Illusion kann Dir möglicherweise Sicherheit vorgaukeln, aber nie ein wirklich nährendes Gefühl von Präsenz ersetzen.

Unsere Systeme sind nach Ordnung natürlicherweise ausgerichtet, Lügen führen demnach immer zu Verwirrung. Unser System möchten Ordnung schaffen, fehlt die Ehrlichkeit entsteht manchmal ein sehr verunsicherndes Gefühl. 

Manchmal zeigt sich eine Unehrlichkeit im Kontakt auch in einer Übertragung, dass Du selbst die ganze Zeit das Gefühl hast zu lügen, im überprüfen aber nichts feststellen kannst- Dein System gibt Dir dann möglicherweise Zeichen, dass eine Lüge im Raum steht.

Aus dem Versteckspiel aus zu treten heißt in dem Sinn auch wieder Vertrauen zu lernen, zunächst einmal Deiner eigenen Wahrnehmung gegenüber.

Es bietet die Möglichkeit wirklich zu bekommen, was Du willst!

Wie Ehrlichkeit Dich unterstützen kann Deine Wünsche und Vorsätze auch tatsächlich umzusetzen – mit einer Idee für eine kleine Übung und ein Ritual – erfährst Du in diesem Video.